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Evelyne Marti

Das konstitutive Subjekt der kriminalpoetologischen Erzählstruktur

Essayistische Notizen
 
Während sich das Subjekt im Märchen in eine weltenthobene, gedankenverlorene Traumszenerie der gefühlsentleerten, fiktionalen Entwürfe und repetitiv auftretenden Stereotype begibt und im strukturlosen Wirkungsbereich des fühlbar Unheimlichen einer albtraumhaft lähmenden Phantasmagorie der ungefiltert geballten Entgrenzung erliegt, findet es in der poetischen Kriminalerzählung als eine der metaphysischen Sage verwandten Erzählform eine intuitiv erfahrbare, metaphorische Sphäre der gedämpften Desintegration, die dem strukturell integrierenden Ordnungsgefüge der Realität und ihrer jeweils geltenden Strafrechtsordnung als steuerndes Gegenregulans untersteht.
 
In dieser poetischen Metaebene, wo das Subjekt sich einer existenziell bedrohlichen Grundsituation gegenübergestellt begreift, wird der beängstigende Einschnitt durch das Normwidrige und Ungesetzliche nicht als widernatürlich aufbrechender Riss in die Wirklichkeitsimmanenz aufgefasst, jedoch auch nicht unkritisch eingestuft. Im intuitiven Erfassen erkennt das erlebende Subjekt seine eigene Annäherung in der Auseinandersetzung mit der sich darstellenden abweichenden Realität, dies mit einem gewissen Vorbehalt und einer erträglichen Distanz des Betrachters, der die sich präsentierende regelwidrige Situation einordnet, ohne dabei vollends von ihr ergriffen zu sein.
 
Sobald das agierende Subjekt auf diese Weise Zugang zum unverarbeiteten Wahrnehmungsgegenstand gewinnt, lockert sich die Anspannung und versetzt das Subjekt in den Flow der zunehmenden Selbstkonstituierung. Im intuitiven Prozess der Angstneutralisierung und der damit einhergehenden Selbststeuerung, wo das operative Subjekt die Aufmerksamkeit auf das Zielobjekt bündelt und der Intuition ausreichend Raum gewährt, um Bewältigungsstrategien zu entwickeln inmitten der beängstigenden Lebenssituation, der zu begegnen sich das konstitutive Subjekt veranlasst sieht, lässt die Fokussierung auf die innere Mitte zunehmend eine Selbstberuhigung eintreten, worauf das rationale Subjekt durch die selbsttragend gewordene Intuition eigendynamisch und handlungsfähig wird.
 
Diese durch die Intuition initiierte Strukturstärkung der rationalen Selbststeuerung führt zu einer sich ausbreitenden Entspannung, Selbstvertrauensbildung und Funktionslust in einem strukturbildenden Handlungsbereich, ein achtsames Gewahrwerden im Jetzt, Körper und Geist als Einheit, Subjekt und Bewegung in deckungsgleicher Synchronisierung, befähigt zur willenskonditionierten Selbstwirksamkeit im Inkubationsfokus der finalen Zielvision, koordiniert zu einer willentlich veranlassten, intuitionsgeladenen Handlung aufschwingend.
 
Je weitreichender der Spielraum der sich manifestierenden Selbstevidenz im großen Lebenszusammenhang Gestalt und Struktur annimmt, desto bewältigbarer erscheint die Wahrnehmung und Beherrschbarkeit von Sachverhalten im Kontext der beängstigenden Grundsituation. Der Handlungsimpuls fächert sich auf zu einer episch amplifizierenden, investigativ strukturbildenden Handlungskomposition.
 
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