Evelyne Marti

Spiegelbilder der Intuition

Essayistische Notizen
 
Zwischen den gläsernen Märchenpalästen verspielter Gedankenarchitektonik und ihren verwinkelt entworfenen Verstandesvehikeln, jenseits der Phantasmen von diffus flottierenden Gefühlsnebelfeldern und dumpf drückenden Gespenstern aus vergessenen Zeiten, erblüht in bizarrer Zartheit und Wahrhaftigkeit die sagenhaft poetische Zauberblume der Intuition im Inselland der eigenen seligen Mitte, sachte und achtsam aufkeimend und sich mutig entfaltend, die Magie der inneren Freiheit entblätternd, ein kraftvolles Aufstreben und Gewahrwerden des eigenen unentdeckten Potentials, sich den engen Fesseln von Verstand und Gefühl entledigend und strebsam Neuland erobernd. Die Konzentration auf die eigene innere Mitte führt zu einer sich ausbreitenden Ruhe und Gelassenheit, ein achtsames Innesein im Jetzt, Einheit von Körper und Geist, wo Ich und Bewegung eins werden, bereit zum dynamischen Sprung aus dem Inkubationsraum des Seins, koordiniert und zielsicher das Richtige umsetzend.
 
In dieser Sphäre, wo das eigene Ich sich einer zum Teil traumatischen Lebenswirklichkeit gegenübersieht, wird der Einbruch der oftmals beängstigenden Realität nicht als verstörender Riss empfunden, aber auch nicht unzensiert übernommen. In der intuitiven Wahrnehmung sehe ich meine eigene Zuwendung in der Begegnung mit der sich darstellenden Realität, jedoch mit einem gewissen Vorbehalt und einer erträglichen Distanz des Wahrnehmenden und Betrachtenden, der diese sich präsentierende Welt zulässt, ohne dabei von ihr vereinnahmt zu werden. Sobald ich auf diese Weise Zugang zum Wahrnehmungsgegenstand erhalte, löst sich die allgemein drängende Lebensangst und versetzt mich in den Flow des Intuitiven. Im intuitiven Prozess der selbstberuhigenden Angstbewältigung und der damit einhergehenden Selbstkonstituierung der Intuition, wo ich mich innerlich sammle und meiner Intuition ausreichend Entfaltung einräume, um Kraft zu entwickeln für die beängstigende Lebenssituation, der ich mich stellen muss, lässt die Fokussierung auf meine innere Mitte mich zur Ruhe kommen, sodass ich auf einmal durch die selbsttragend gewordene Intuition dynamisch und handlungsfähig werde.
 
Die existenzielle, angstbewältigende rationale Absicherungstendenz mit vernunftorientierter Normensetzung kann in zugespitzter Überfunktion zum Gefängnis werden, stellt aber auch das notwendige Lenkrad der bewussten Selbststeuerung dar. Die rationale Kontrollinstanz durch selbstverankernde Regelsetzung ist nicht grundsätzlich falsch, es kommt auf die Verhältnismäßigkeit und Umsetzbarkeit an. Der nüchterne Verstand kann nicht alles ausreichend vorausplanen, kontrollieren und regeln, deshalb braucht es flankierend eine vorausschauende Intuition, die den starren, schwerfälligen Verstand abkürzend entlastet und flexibler gestaltet in einer relativierten Wahrnehmung und Beurteilung, wodurch Vorhersehbarkeit, Berechenbarkeit und Sicherheit gleichzeitig präkognitiv eingeschätzt werden. Im Schachspiel entspräche der breitspurige Turm dem geradlinig logische Schlüsse ziehenden Verstand, während der leichtfüßige Springer der um die Ecken blinzelnden Intuition gleichkäme, als Team sind sie unschlagbar!
 
Das Leben manifestiert sich derart komplex und vielschichtig, weshalb es ein Ding der Unmöglichkeit darstellt, dieses in einer rein bewussten, verstandesorientierten Herangehensweise zu erfassen, geschweige denn all diese gleichzeitig ablaufenden funktionalen und psychischen Mechanismen zu organisieren und zu synchronisieren, angefangen mit den grundlegendsten Körperfunktionen. Deshalb stellt die Intuition eine unabdingbare, nicht zu unterschätzende Grundfunktion dar, angesiedelt zwischen Verstand und Gefühl, im Spannungsfeld von fokussierendem Intellekt und hypnagogen Impulsen, im Kontrast einer rational eingrenzenden Differenzierung, im Gegensatz zu einer gefühlsbezogenen, projektiven Symbiose mit dem Betrachtungsgegenstand. Es geht um die Überwindung der einseitig verkopften, unflexiblen, motorisch operierenden Verstandesstrukturen zu einer dynamischen, gefühlsintegrierten, zielgerichteten intuitiven Wahrnehmung, welche eine Brücke zu unbewussten Verarbeitungsvorgängen schlägt und dadurch in die Lage versetzt wird, einen Sachverhalt umfassender zu begreifen in einem abwägenden Dialog von rationalen Entscheidungsfindungen und intuitiven Eingebungen, basierend auf bewusst hergeleiteten Schlussfolgerungen und unbewusst erfassten Einsichten.
 
Oftmals werden wir in unserem Leben erst dann auf Irrwege aufmerksam, wenn der Körper uns dies signalisiert durch Symptome. Doch manches Mal übersehen wir auch diese, bis der Körper riesige Stopp-Schilder aufstellt, die wir immer weniger übersehen und umgehen können, denn irgendwann werden sie zu Absperrungen unserer Baustellen, die wir nicht mehr so leicht überwinden. Im Glücksfall lässt sich das auslösende Gefühl als Ursache der körperlichen Reaktion erkennen und abbauen mit dem dazugehörigen psychosomatischen Symptom, das dann bestenfalls ausbleibt, aber vielfach ist diese Kausalität nicht ersichtlich. Trotzdem besteht teilweise eine solche, wenn auch versteckt und nur durch ein intuitives Grundempfinden zu eruieren und einzugrenzen.
 
Um sich im Alltag zurechtzufinden, ohne alles bis ins letzte Detail jedes Mal neu zu analysieren, auf dessen Richtigkeit und Existenz hin zu überprüfen und wiederholt zu kontrollieren, was letztlich nicht realisierbar ist, braucht es ein grundlegend bestätigendes Evidenz-Empfinden unserer Intuition für den gegebenen Sachverhalt, denn eine logisch-abstrakte Wahrnehmungsherleitung allein kann diese Empfindung der Gewissheit nicht vermitteln. Je weiträumiger die Bestätigung der Selbstevidenz im großen Lebenszusammenhang sich ausdehnt und stabilisiert, desto präsenter, bewältigbarer, kraftvoller, selbstsicherer und damit evidenter erscheint die Wahrnehmung und Beherrschbarkeit von Sachverhalten im Kontext von kleinen Alltagssituationen. Das großartige Gefühl, bestätigt zu werden in seinen Tätigkeiten, eine möglichst optimale Wertschätzung und Selbstbestätigung zu erzielen, vermittelt eine deutlichere Erfahrungsevidenz durch das innere Belohnungszentrum und aktiviert die unbewussten Ressourcen und Energiereserven. Je stärker jemand "bestätigt" wird in seinen Arbeitsbereichen und in seiner Selbstwahrnehmung, desto leistungsfähiger und motivierter fühlt er sich und umso weniger kontrolliert er immer wieder nach aufgrund von unzureichender Evidenzbildung.
 
Ohne jedwede intuitive Vision gelänge nur schwerlich eine hinreichend veranlasste bewusste Willensbildung mit dem Fokus einer gezielt auszuführenden Handlung. Je erstrebenswerter die Visionsgestaltung sich formiert, umso ausgeprägter die Willensbündelung auf ein damit verknüpftes Handlungsziel. Je höher die Hürden zur Erreichung des erwünschten Zielobjekts, desto mehr Attraktivitätspunkte der Visionsausformung müssen zur Beibehaltung oder Steigerung der Motivation hinzukommen. Deshalb hängt die Intensität und das Durchsetzungsvolumen der Willenskraft unmittelbar mit der Fähigkeit zur Visionsverstärkung und deren Realisierbarkeit durch erreichbare und aufbauend belohnende Zwischenetappen zusammen. Ohne Visionsfunke kein Wille, ohne einen anzündenden Willensakt keine Vision. Beide bedingen und potenzieren sich gegenseitig unter dem Aspekt ihrer Realisierbarkeit, welche wiederum Einfluss nimmt auf die Levelstärken der Willenskonditionierung sowie hinsichtlich der Aggregatszustände einer finalen Visualisierung.
 
In einer ausgewogenen Verbindung von Anlass und Aufmerksamkeit, Verstand und Vorstellung, Willensbildung und Wegrichtung, Vision und Vorgang, Bewusstsein und Betrachtung, Fokus und Führung, Konzentration und Kontrolle, Zeitfenster und Zielsetzung, Emotionsregulation und Entscheidungsfindung, Integration und Identifikation pendelt sich die Intuition als selbstbelohnende Trance-Bewegung zwischen operativem Intellekt und spontanem Affekt zum selbstkoordinierten, dynamischen Flow-Zustand in Richtung Handlungsziel.
 
Die spontan motivierte Funktionslust ist ein wesentlicher Bestandteil des intuitiven Flow-Erlebens, ein positiv konnotiertes Bedürfnis nach bestätigender Selbstwirksamkeit in einem strukturbildenden Tätigkeitsbereich, dies im Kontext einer primär funktional sinngebenden Selbstevidenz, basierend auf einer anerkennungsorientierten Eigendynamik, mitunter sekundär auf ein finales Handlungsziel gerichtet. Der Weg ist das Ziel.
 
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